Schulköstliches
– gelehrt und gelernt –
mit einem schillernden Vorwort


Ein schillerndes Vorwort

Als ich Hann Trier, meinen erklärten Lieblingsmaler, einmal fragte, wo er seine großformatigen Gemälde de-poniere, wenn sie nicht gerade in einer Ausstellung hin-gen, entlarvte er umgehend meinen geheimen Wunsch mit der direkten Gegenfrage: „Wieso? Wollen Sie eins verwahren?“ Daraufhin zeigte ich ihm die leere Altar-wand unserer neuen Kollegskirche. Ein gutes Jahr später hatte der Künstler das großartige Bild „Golgatha“ für sie geschaffen, das seither als Dauerleihgabe den Innenraum eindrucksvoll aufwertet. – Bei seinem ersten Besuch aber entdeckte uns einer meiner neuen Sextaner, stürmte zu meiner Begrüßung heran, doch ich verwies ihn zuerst auf Hann Trier, den ich den größten Maler des Jahrhunderts nannte. Das verfehlte seine Wirkung nicht. Der Kleine blieb ehrfurchtsvoll stehen, und Hann Trier reichte ihm über die Kühlerhaube meines Autos hinweg seine Hand mit der Begründung, er habe einen sehr langen Arm. Als wir dann das Auto bestiegen, um zur Stella, dem Schloss im Kollegspark, zu fahren, meinte der Junge anmerken zu müssen: „Die kleine Strecke kann man doch zu Fuß gehen.“ Während ich mich auf mein Gewicht und mein Alter herausredete, verwies Hann Trier auf seine viel zu kurzen Beine. Die Retourkutsche kam prompt: „Das macht nichts, dafür haben Sie ja den sehr langen Arm.“ Die unbekümmerte und herzerfrischende Schlagfertigkeit eines zehnjährigen Knaben erfreute uns beide. Dabei fiel Hann Trier eine Verlegenheit ein, in die er in England geraten war, als er sich nach Beuys erkundigen wollte. Sein Gesprächspartner begriff erst nach einer Weile, dass es nicht um boys, also Knaben, gehe, sondern um den deutschen Happening-Künstler. In eine ähnliche Verlegenheit wurde ich durch meine Primaner gebracht, als das Thema Koedukation sich auch in unserer Jungenschule immer mehr zuspitzte. Zunächst wurde in der Oberstufe für einige Fächer mit einer be-nachbarten Mädchenschule eine gewisse Kooperation vereinbart. Als während einer Pause meines Literaturun-terrichts einige dieser Damen an unserer offen stehenden Tür vorbeigingen, entfachte ich die Diskussion. Das war in der Zeit, in der ein hoch angesehener, deutscher Vier-sterne-General durch einen äußerst zwielichtigen ho-mophilen Doppelgänger in übelste Verdächtigungen ge-raten war. Nachdem auch ich meinen Standpunkt in der koedukativen Problematik dargelegt hatte, schloss ich mit dem Bekenntnis: „Wenn Sie mich persönlich fragen, bin ich mit Lust Lehrer an einer Jungenschule geworden.“ „Also sozusagen Viersterne-Lehrer!“ hieß postwendend die pointierte Antwort.

Obwohl ich überzeugt bin, dass mein Literaturunterricht durch die Mitwirkung von Mädchen eine große Bereiche-rung erfahren hätte, bin ich ebenso sicher, dass der Um-gangston ein anderer gewesen wäre. Das bitte ich bei meinen Ausführungen zu berücksichtigen. Mir selbst wurde das einmal in der ersten Pflegschaftssitzung einer neuen Sexta bewusst, als sich gleich zu Beginn eine mir völlig unbekannte Mutter zu Wort meldete, um mich – bevor ich überhaupt irgendetwas gesagt hatte – energisch in meine Schranken zu verweisen: „Wir, denn ich glaube im Namen einiger Mütter zu sprechen, wären Ihnen sehr dankbar, wenn es Ihnen gelänge, an dem heutigen Abend Ihre Ihnen selbst wohl unbewusste Frauenfeindlichkeit unter Kontrolle zu bringen.“ Mir verschlug es den Atem, denn davon hatte ich wirklich noch nichts bemerkt. Im-merhin war ich einigermaßen glücklich verheiratet, und es gab zweifellos Frauen, die mir gefielen. Deshalb sagte ich halbwegs konsterniert: „Es tut mir leid, gnädige Frau, aber ich sehe mich völlig außer Stande, Ihnen geistig zu folgen.“ „Dann werde ich konkret.“ „Ich bitte darum.“ „Warum dürfen die Väter zu Ihnen kommen, aber nicht die Mütter?“ „Wie bitte?“ „Mein Sohn kam nach Hause und sagte, der Eschi hat getobt und uns eingeschärft: >Haltet mir bloß mindestens acht Wochen Eure Mütter vom Hals
Meine Aufzeichnungen umfassen den Zeitraum von 1959 bis 1994. Sie erwähnen über siebzig Personen, die mir fast alle noch namentlich in Erinnerung geblieben sind. Sie werden sich selbst mühelos aus den Zusammenhän-gen heraus wieder erkennen, denn ich habe nur nachge-zeichnet, aber nichts erfunden.

April – Mai 2008

Der Deutschlehrer: Schulköstliches