Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften
„Zwischen Nicht-mehr und Noch-Nicht“
– Ein Vortrag –
Die deutsche Romanliteratur des zwanzigsten Jahrhunderts wird von vier großen Namen geprägt: Franz Kafka, Thomas Mann, Hermann Broch und Robert Musil. Während die beiden ersteren sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen, drohen die beiden letzteren leider allmählich in Vergessenheit zu geraten. Das liegt bei Robert Musil zweifellos nicht an der Bedeutung und Qualität seines Werkes, sondern sowohl an seinem gewaltigen Umfang als auch an der Überzeugung des Dichters, dass es unendlich viele Wege zum richtigen Leben gibt, die aber alle keine endgültigen Antworten gewährleisten. Denn der Mensch kann und soll auch nicht vollkommen sein. Er vermag im Rahmen seiner Aufgabe das Möglichste zu erstreben, aber er wird keine verbindlichen und definitiven Lösungen finden. Infolgedessen wird die Dichtung nur unendlich viele Perspektiven aufzeigen, die den Roman grenzenlos anschwellen lassen, aber irgendwie offen und letztendlich eine Utopie bleiben müssen. Der Fragmentcharakter und der offene Schluss sind vielleicht sogar die notwendige Folge, auf jeden Fall aber eine überzeugende Begründung, warum Robert Musil bis zu seinem Tod an diesem Werk weitergearbeitet hat. Unter größten materiellen und gesundheitlichen Schwierigkeiten stirbt er 1942 in seinem Schweizer Exil. Trotz aller Unsicherheiten und Zweifel weiß er um die bleibende Bedeutung seines unvollendeten, vielleicht sogar unvollendbaren Hauptwerkes. Denn in einer der letzten Notizen in seinem Tagebuch bekennt der vornehme und stolze Dichter mit der für ihn charakteristischen Ironie: „Erst auf seinen Tod warten zu müssen, um leben zu dürfen, ist doch ein rechtes ontologisches Kunststück.“