Max Brod warnt natürlich mit Recht davor, in den Notizen der Tagebücher das wirkliche Bild seines Freundes sehen und suchen zu wollen. Denn sie spiegeln überwiegend die niederdrückenden und beklagenswerten Schattenseiten seiner im Ganzen doch komplexeren Existenz, der es im alltäglichen Leben keineswegs an Humor, Liebens-würdigkeit, Kontaktfreudigkeit, Beliebtheit und interessierter Neu-gierde gefehlt hat. In dieser Hinsicht liefern wohl seine Reiseberichte zahlreiche und eindeutige Beweise. Dagegen fällt in den Tagebüchern neben den Beschwerden über die jeweiligen Mißstände seines Be-findens vor allem seine minutiöse Beobachtungsgabe auf. Wenn Kafka mit akribischer Genauigkeit scheinbar urteilsfrei die Vorgänge und Untersuchungen in Sanatorien, die Vorschriften der Gesundheits-apostel, die apodiktischen Empfehlungen der Ideologen und die gewissenhafte Hörigkeit der Gläubigen beschreibt, entbehrt das Ganze keineswegs der schmunzelnden Parodie und der entlarvenden Karikatur. Das gilt selbst bei Kafkas seriösem Besuch bei Rudolf Steiner.

Kafkas wirkliches Erbe