„Hyazinth und Rosenblütchen“

Die Romantik als Anfang der Moderne

„Von Novalis zu Kafka“

Märchen gibt es in allen Regionen der ganzen Welt. Sie sind wohl die älteste Form und damit der Ursprung aller Dichtung. Sie offenbaren deshalb in anschaulicher Schlichtheit Grundbedürfnisse von jedem Menschen, die ihm unbewusst innewohnen, sein Wunschdenken steuern, Hoffnungen wecken, Ängste verdrängen, Glücksträume verwirklichen. Die Sehnsucht nach einer besseren, gerechteren Welt verlangt förmlich nach starken Mächten, ermöglicht Wunderwesen, schafft Götter. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass Elemente der Märchen in allen Religionen auftauchen. Denn die Religionen bemühen sich ebenfalls, den drängenden Fragen des Menschen nach seiner Bestimmung und seinen Aufgaben im Sinngefüge der Schöpfung zu entsprechen.

Erst am Anfang des 19. Jahrhunderts machte man sich bewusst, dass Märchen keineswegs in erster Linie für Kinder geschaffen worden sind. Wegen ihres einfach-naiven Weltbildes erlangten sie zwar bald in der Pädagogik einen großen erzieherischen Wert, aber lange vor der Psychoanalyse als Wissenschaft erkannten Künstler die tiefe Verwurzelung der Märchen-Inhalte im Unbewussten der menschlichen Seele. Sie spüren in der geheimnisvollen archaischen Welt des Volksmärchens die urzeitliche Einheit von Seele und Außenwelt, von Zauber und Wirklichkeit, von Kunst und Religion. Es ist ein rätselhaft-harmonisches Miteinander von allem mit allem, sodass der Maler Ph. O. Runge ahnt: „Die Landschaft besteht immer darin, dass die Menschen in allen Naturerscheinungen sich und ihre Eigenschaften und Leidenschaften sehen…, in jedem steckt ein gewisser menschlicher Geist und Begriff oder Empfindung, und es wird mir so klar, dass das noch vom Paradies her sein muss.“

Hyazinth und Rosenblütchen: Die Romantik als Anfang der Moderne