Wie man Kunst begreifen kann
– Die Dichtung und ihre Deutung –
In nur drei poetischen Sätzen gestaltet der Ausnahme-Dichter in einer Fabel – also wie bei ihm häufig – einer Tiergeschichte das alternative Ziel seiner geistigen Welt. Mit dem scheinbar überraschten Klagelaut „Ach“ hält die Maus die allmählich gereifte, aber offenkundige Einsicht fest, daß „die Welt“ für sie und ihr Leben fortschreitend enger wird. Das zunehmende Alter bedeutet demnach eine immer größere Einschränkung der früheren Möglichkeiten. Tatsächlich schwächen sich die Sinne ab, man sieht oder hört schlechter, die Bewegungen werden langsamer und schwerfälliger, die Gebrechlichkeiten nehmen zu, die Spielräume verkleinern sich und Begrenztheiten werden bewußter. Der Mittelteil der Fabel, also der zweite Satz, gewährt dagegen einen Rückblick in die Vergangenheit. Die Maus erinnert sich der ungebrochenen Tatkraft ihrer Jugend, der die ganze Welt weit offen stand und ihr alles zu ermöglichen schien. Es ist die Zeit des geistigen Erwachens, die in der Pubertät glauben läßt, alles besser machen zu können als man es von seinen Vorgängern angetroffen hat. Es ist die Zeit des Aufbegehrens und der Spannungen zwischen Jung und Alt, zwischen Kindern und Eltern, zwischen Schülern und Lehrern. Goethe hat es seinen Baccalaureus stolz und arrogant verkünden lassen: „Das ist der Jugend edelster Beruf! Die Welt, sie war nicht, eh` ich sie erschuf“. Aber der Wahn des stürmischen Neuanfangs und der scheinbaren Unbegrenztheit birgt auch die Gefahr und die Angst, sich darin verlieren zu können. Deshalb bedeutet es ein Glück, diesen Irrtum einsehen zu müssen. Denn die scheinbar grenzenlose Freiheit des Menschen stößt überall auf unüberwindbare Schranken, auf Naturgesetze z.B., die er dank seiner Auszeichnung mit der Erkenntnis in ihrer folgerichtigen Notwendigkeit zwar durchschauen und begreifen, aber niemals aufheben kann, ohne daran zu scheitern: Wer sich in einem Hochhaus zu weit aus dem Fenster hängt, riskiert sein Leben! Es gibt aber auch Zwänge, die sich der Mensch freiwillig auferlegt, um sich das Miteinander zu erleichtern: Er trifft Absprachen und vereinbart Spielregeln, beschließt Steuern und stellt Verkehrsampeln auf. Heute ist niemand mehr ein einsamer Robinson auf der Insel!