Eine der bekanntesten Erzählungen des einzigartigen Dichters heißt „Eine kaiserliche Botschaft“. Sie steht als „Sage“ in dem größeren Zusammenhang „Beim Bau der Chinesischen Mauer“ und ist also ebenfalls eine Dichtung in der Dichtung wie die vielleicht noch bekanntere Parabel „Vor dem Gesetz“ im Zentrum des Prozeß-Romans. Beide Erzählungen wurden von Kafka aus ihren Kontexten herausgenommen und noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Das ist eine Auszeichnung, die der gegenüber sich selbst äußerst kritische Autor nur knapp 300 Textseiten gewährte, während postum sein Gesamtwerk auf ein Dutzend Bände anschwellen konnte. Vor allem aber erfüllen beide Texte seine Forderung, Dichtung bedeute Verdichtung und sei eine Essenz, die erwecke und zum Gebet tendiere. Kafka bekennt sich zu seinem Schreiben als einer Form des Gebets und bezeichnet seine Dichtung als Expedition nach der Wahrheit. Diese Wahrheit ist bei ihm aber immer eine zutiefst menschliche Wahrheit. Sie „ist das, was jeder Mensch zum Leben braucht und doch von niemand bekommen oder erstehen kann. Jeder Mensch muss sie aus dem eigenen Inneren immer wieder produzieren“. Er muss in die Tiefe seines Ichs hineinhorchen und um seiner Würde willen seinen eigenen Geist, sein eigenes höheres Selbst wachrufen. Denn jeder Mensch trägt seinen Auftrag in sich und ist berufen, ihn tätig zu verwirklichen. Das ist eine immerwährende Aufgabe, deren angestrebtes Ziel Kafka nach seinen eigenen Worten so hoch über sich stellt, dass er selbst fürchtet, es nicht erreichen zu können, obwohl in ihm seine ganze Hoffnung gründet. Er wähnt sich auf einem Weg, der ihn zwar ungewiss weiterführt, doch zugleich die unbegreiflich schöne Mannigfaltigkeit erfüllter Hoffnungen ahnen lässt, „das immer unerwartete, aber dafür immer mögliche Wunder“.

Kafkas wahrhaft kaiserliche Botschaft

September 2011

Auf Grund eines Vortrages wurde die Einleitung des Essays aktualisiert.

Neue Einleitung