Kafkas gesamte Dichtung hat ausschließlich den Menschen und seine geistige Existenz zum Thema. Seine Fragen und seine Probleme stehen immer und überall im Mittelpunkt. Infolgedessen dreht sich auch in den drei Romanen alles um die zentralen Protagonisten: Karl Roßmann in „Der Erschollene“, Josef K. in „Der Prozeß“ und der Landvermesser K. „Das Schloß“. Die Arbeit an diesen drei Werken verlief nicht konsequent und kontinuierlich, sondern hatte ihre Schwerpunkte in den Jahren 1911/12 für den ersten, 1914/15 für den zweiten und 1921/22 für den dritten Roman. Da Kafka aber in seinem „Brief an den Vater“ schreibt: „Ich hatte, seitdem ich denken kann, solche tiefste Sorgen der geistigen Existenzbehauptung, dass mir alles andere gleichgültig war“, dürfte sicher sein, dass auch die drei dichterischen Großformen, die der Dichter leider nicht ganz vollendet hinterlassen hat, von dieser seiner existenziellen Grundthematik, beherrscht und geprägt sind. Sie ist für den genialen Künstler von Anfang an die Antriebskraft, die ihn immer wieder zu neuen Antworten und Lösungen motiviert und herausfordert. Warum aber unternimmt Kafka nach seinem ersten Versuch noch einen zweiten und sogar zehn Jahre später einen dritten? Was unterscheidet die drei Roman-Entwürfe voneinander? Setzt der Dichter andere Akzente und erweitert den Spielraum? Oder sind die vielleicht fortschreitende Stufen derselben thematischen Entwicklung, so dass sie als sich ergänzende Teile einer Trilogie verstanden werden können? Kafkas ausschließliche Sorge, das geistige Wesen der menschlichen Existenz zu ergründen und die dafür sinnvolle Lebensform aufzuspüren, wird im Spiegel der Romane ihren Facettenreichtum offenbaren. Es dabei charakteristisch für ihn, dass er vor allem die ungezählten Ablenkungen, Verirrungen und teuflischen Fallen entlarvt, die das wahre menschliche Leben gefährden und das eigentliche Ziel verstellen.

Kafka war überzeugt, dass der hellsichtige Dichter „eine prophetische Aufgabe“ hat, wie er einmal sagt, weil er „anders und mehr die anderen“ sieht, was er noch am 19. Oktober 1921 in seinem Tagebuch festhält. In diesem „Mehr“ wurzelt dann auch seine Sorge, seine von ihm oft beschworene „Angst, die er allerdings zugleich für sein „Bestes“ hält, wie er Milena in einem Brief mitteilt, weil es „die Angst alles Glauben seit jeher“ ist; denn diese Angst ist „nicht nur Angst, sondern auch Sehnsucht nach etwas, was mehr ist als alles Angsterregende.“ – Wer dieses – wenn auch noch so kleine – Licht der Hoffnung am Ende des Tunnels nicht erkennt, erreicht nicht den „verborgenen Hintergrund“ der Kunst Kafkas.

72 Seiten, ISBN 978-3-944566-94-8, 2019